Eine kurze Geschichte der Gestalttherapie

Fritz Perls - Gestalt
„Fritz Perls“
von Otto Dix

Die Gestalttherapie entsteht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Zusammenfließen verschiedener Lebensbewegungen und geisteswissenschaflicher Strömungen. Der Arzt und Psychoanalytiker Fritz Perls (1893-1970) gilt neben seiner Frau Laura Perls und Paul Goodman als Begründer der neuen Therapierichtung.

Seinem Forschen, seinem persönlichen Engagement, vor allem aber seinem Mut, in der psychotherapeutischen Begleitung von Menschen neue Wege zu beschreiten, verdanken wir einen Therapieansatz, der viel mehr ist als eine neue Methode. Perls setzt sich über viele der damals gültigen Glaubenssätze und Regeln hinsichtlich der seelischen Gesundung von Menschen hinweg: Als Mensch und Therapeut unzufrieden und vom psychoanalytischen Ansatz Freuds enttäuscht, beginnt er das psychotherapeutische Setting durch den direkten persönlichen Kontakt zu erweitern. Er richtet die Aufmerksamkeit nicht mehr in die Vergangenheit, sondern sieht im gegenwärtigen Moment, im Hier und Jetzt, die Chance für Erkenntnis und Heilung. 

Perls und seine Kollegen sind inspiriert vom Organismusgedanken, der das heraklitische „panta rhei“ (alles fließt) aus wissenschaftlicher Sicht neu formuliert: Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile. Das mechanistische Weltbild betrachtet den Menschen als eine Maschine, bei der man lediglich einige Ersatzteile auswechseln muss, um sie wieder funktionstüchtig zu machen. Der Organismusgedanke, der die systemische Verwobenheit aller Lebensphänomene beschreibt, sieht den Mensch als „Organismus in seiner Umwelt“, dessen Grundtendenz es ist, sich stets als Ganzheit zu organisieren (Holismus) und ein flexibles Gleichgewicht aufrecht zu erhalten (Homöostase).

Die Quellen, aus denen die ersten Gestaltpioniere schöpfen, sind

  • die klassische Psychoanalyse (Freud, Harnich, Deutsch u.a.), 
  • Wilhelm Reichs Charakteranalyse, 
  • Existentialistische Philosophie (Buber, Scheler, Tillich), 
  • Gestaltpsychologie (Wertheimer, Köhler), 
  • Zen-Buddhismus, 
  • Taoismus und nicht zuletzt 
  • Perls jüdische Herkunft und seine Erfahrungen in den Weltkriegen.

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